Schattenzeit-Kollektiv

Schattenzeit - Kollektiv

Inhaltsangabe

Der bisher unvollendete Fantsay-Roman:

Nachdem eine Gruppe Menschen aus dem seit Jahrzehnten isolierten Westlichen Königreich in den Norden entsandt wird, gerät der junge Zamenkra, als er auf den Morkazgen Morkai trifft, schon bald in den Sog eines brutalen Krieges, der sich immer mehr seinem genozidalen Höhepunkt zuneigt.
Ehe er sich's versieht, findet sich Zamenkra jenseits seiner behüteten Zivilisation wieder, unterwegs mit einer von Morkai angeführten Gruppe kriegsmüder Morkazgen, die ihre bisherige Rolle in einem Krieg hinterfragen & versuchen zu verarbeiten, in dem selbst die Götter ihre Hände im Spiel zu haben scheinen. & während ihm deutlich gemacht wird, wie viel mehr die Welt für ihn bereit hält, wird die Gruppe unweigerlich mit den Konsequenzen ihres Kriegerdasein, der moralischen Frage nach Gut & Böse & ihrem Verständnis von Heimat konfrontiert.

aus Kapitel 6 Krieg & Frieden

[...]
Wer durch Inherbidia ging, wurde immer von einem Gefühl der Einsamkeit begleitet. Vieles in der Welt war wahrscheinlicher als in Inherbidia einer anderen Seele über den Weg zu laufen, die nicht ein freudiger Singvogel oder ein scheuer Wildhase war.
Doch genau das geschah in diesem Moment. Schon aus der Ferne sahen Zamenkra und die Morkazgen den vollgestapelten Karren, der ihnen entgegenkam. Gezogen wurde er von einem Kaufmann, dem ein großer Hut den Großteil seines Gesichtes verhüllte. Nahe der Gruppe kam der Kaufmann zum Stehen. Seine Kleidung ließ vermuten, dass er es eigentlich nicht nötig hatte seinen Karren, der unter dem Gewicht der Waren ächzte, selbst zu ziehen. „Einen wunderschönen guten Tag, wünsche ich euch! Darf ich euch etwas von meinen Waren anbieten? Ihr seht so aus, als könntet ihr das eine oder andere gebrauchen.“
Zamenkra zuckte beim Klang der listigen Stimme zusammen. Doch nicht nur das jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Der Fremde hatte leicht den Kopf gehoben und aus dem Schatten des Hutes funkelten dem Menschen leuchtende senfgelbe Augen entgegen. Die Morkazgen schienen ihm nicht zu trauen, da jeder einzelne ihn aufmerksam beäugte.
„Es muss ein großer Zufall sein, dass du uns hier begegnest, wo sich Hase und Igel gute Nacht sagen, just als unsere Lebensmittel durch den Tod unserer Pferde knapp zu werden scheinen!“, entgegnete Morkai mit einem Hauch von Anschuldigung in seinem Ton.
Der Fremde lächelte nur abfällig. „Es gibt keine Zufälle, mein Freund! Zufall ist ein Platzhalter für jene, die das große Ganze nicht verstehen.“, er drehte sich zu seinem Karren und begann zu kramen, „Wie es der Zufall so will…“, er drehte seltsam grinsend den Kopf wieder zu den Morkazgen und zurück, „…habe ich so einiges, was sich als Proviant eignen würde.“
Er holte drei Laibe Brot, einen großen Schinken, ein halbes Käserad und einen kleinen Korb voller Äpfel hervor. Anschließend setzte der Kaufmann seinen Hut ab und deutete den Reisenden sich seine Waren genauer anzusehen.
Zögernd traten die Morkazgen näher.
Zamenkra und Morkai begutachteten ihn indes sehr sorgfältig. Der Fremde hatte ein kantiges Gesicht, schwarze fettige Haare, gerade lang genug, um die meisten Strähnen zu einem Zopf binden zu können, die kreuz und quer über den Schädel lagen, und trug einen dünnen wenig gepflegten Musketierbart. Er war etwas kleiner als die Männer ihrer Gruppe und seine Statur wirkte erstaunlich schwächlich, wenn man davon ausging, dass er seinen Karren vielleicht schon seit Tagen durch das Land zog.
Kurz um: Alles an ihm schrie nach einem stereotypischen schmierig-hinterlistigen Individuum. Er stand nur die ganze Zeit da und lächelte selbstzufrieden. Was führte dieser Fremde im Schilde? Wollte er ihnen im Auftrag der Gorkamaren vergiftetes Essen andrehen? Oder war es wirklich ein Wink des "Großen Ganzen", um ihnen ihre Reise zu erleichtern?
Tatsache blieb, dass seine Waren überaus hochwertig waren. Das Brot roch wie frisch gebacken und der Schinken sah aus, wie eben erst geräuchert. Auch alles andere, was die Morkazgen auf dem Karren sahen, schien nur vom Feinsten und gerade erst hergestellt. Feine Hemden, vornehme Schuhe, Dolche, Pfeile, Körbe, Taschen, Ketten, Ringe, Tücher, Besteck, Geschirr. Der Kaufmann hatte von allem etwas.
„Da fällt mir ein, ich habe da noch etwas ganz speziell für dich.“, sagte der Fremde und deutete auf Morkai. Der Morkazge zog fragend eine Augenbraue nach oben. Der Kaufmann holte ein kleines Ledersäckchen aus der Tasche seines Umhangs und gab dabei den Blick auf eine runde, silberne Brosche mit schwarzer Gravur am Umhang frei. Morkai erkannte sie sofort. Etwas kleiner als eine Handtellerinnenfläche und ein eingravierter, stilisierter Schatten einer Person mit Umhang.
„Ein Umbratheist?“, fragte er, als ihm das Ledersäckchen übergeben wurde.
Der Fremde lächelte wieder so seltsam. „Das könnte man wohl so sagen.“
Morkai öffnete das Säckchen. Es enthielt einige Haken, ganz ähnlich denen, die er sich als Katzenschwanz ins Haar zu flechten pflegte. Er sah den Gegenüber verwirrt an. „Was…?“
„Ich weiß, dass du deine in Morelus gelassen hast, weil du dachtest, dass du sie auf eurer Reise nicht gebrauchen kannst. – Du wirst sie brauchen! Eher, als dir lieb sein wird!“
„Wer bist du?“
Über das bis eben noch ernste Gesicht des Fremden legte sich wieder ein Lächeln. „Eine durchaus berechtigte Frage, wenn auch nicht einfach zu beantworten. Die Frage sollte besser lauten, unter welchem meiner unzähligen Namen ihr mich wohl am ehesten kennt.“
Zamenkra stutzte. Hatte der Fremde nicht eben noch längere schwarze Haare gehabt? Jetzt war sein Haar auf einmal kurz geschoren und ergraut. Beinahe schlohweiß. Insgesamt wirkte er im Gesicht und am ganzen Körper vom einen auf den nächsten Augenblick etwa dreißig Jahre älter. Seine Gesichtszüge wirkten nun nicht mehr so kantig und das stechende Senfgelb seiner Augen war einem warmen Haselnussbraun gewichen. Es war, als würde eine völlig andere Person vor ihnen stehen.
„Nehmt euch von meinem Wagen gern, was ihr benötigt und tragen könnt. Doch langsam muss ich weiter und ihr schließlich auch. Manch einem auf dieser Welt ist die Zeit der größte Feind.“
„Und manch einem ungeahnter, mächtiger Verbündeter.“, fügte Zamenkra abwesend hinzu.
Der Fremde tippte sich freudig lächelnd gegen die Nase. „Wohl wahr! Auch wenn sie selten als Verbündete erkannt wird.“, Die Stimme des Kaufmanns hatte inzwischen einen bassigen Charakter bekommen und hätte besser zu einem Mittzwanzigjährigen, kräftigen Mann gepasst, als zu der etwa siebzig Jahre alten Gestalt die nun vor ihnen stand.
Die Morkazgen nahmen den angebotenen Proviant. Als Morkai dafür ein paar Münzen hervor holte, winkte der Kaufmann ab. „Behalte es, mein Freund! Ihr werdet es dringender benötigen als ich.“
Irgendetwas hatte er getan, was in Morkai alles Misstrauen fallen ließ. Er steckte die Münzen wieder ein. „Vielen Dank, für deine Unterstützung.“
Der Fremde deutete eine Verbeugung an. „Es war mir eine Freude!“, Er griff nach seinem Karren und zog ihn weiter Richtung Norden. Kaum ein Dutzend Schritte später hielt er noch einmal inne, „Ach, übrigens: Ich würde euch empfehlen, einen Bogen von etwa einer Meile nach Osten und gut zehn Meilen nach Süden einzuschlagen. In drei Meilen Luftlinie vor euch campiert nämlich ein großes Orkheer. Ihr solltet versuchen, vor ihnen bei den Zwergen zu sein. – Das könnte sich als vorteilhaft erweisen.“
Dann zog der Fremde den Karren weiter und langsam wurde er immer kleiner. Die Morkazgen und Zamenkra sahen ihm noch irritiert nach. Sie hätten schwören können, dass er die letzten Worte mit einer eindeutig weiblichen Stimme gesagt hatte, während sich unter seiner Kleidung immer mehr feminine Kurven abgezeichnet hatten und er oder sie mit einem beeindruckenden Hüftschwung von dannen gezogen war.
„Das war irgendwie gruselig. – Und verwirrend.“, bemerkte Zamenkra halblaut.
„Wenn du wüsstest…“, fügte Morkai hinzu, bevor er sich umdrehte und Richtung Südosten lief.
[...]

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